Review: BELLE

8. Juni 2022,   
Autor: Lisa Murauer

Am 9. Juni 2022 ist es so weit: BELLE kommt dank KSM Anime hierzulande in die Kinos. In Japan erschien der Film bereits im Vorjahr unter dem Titel Ryū to Sobakasu no Hime, was sich mit „Der Drache und die Sommersprossen Prinzessin“ übersetzen lässt. Beworben wird der Film als Neuinszenierung des Disney-Klassikers Die Schöne und das Biest, das Setting wurde jedoch in einen futuristischen Cyberspace verlegt. Treten wir gemeinsam ein, in die grenzenlose Welt von „U“. Arleen Schäfer

ACHTUNG: Jegliche Aussagen in diesem Review reflektieren lediglich die persönliche Meinung des Autors und nicht (!) die von PattoTV und seiner Partner.


Altbekanntes Märchen in einer futuristischen Welt

Wir begleiten die Geschichte der 17-jährigen Suzu – eine schüchterne, alltägliche Schülerin, die in einem ländlichen Dorf lebt. Seit dem Verlust ihrer Mutter ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst und ein wahrhaftiges Mauerblümchen. Doch als sie „U“ betritt, eine riesige virtuelle Welt, flüchtet sie als Bell in ihre Online-Persönlichkeit, eine wunderschöne und weltweit beliebte Sängerin.

Erst recht überraschend spät erscheint das Biest und ruiniert damit Bells bisher größtes Konzert. Während des Kampfes zwischen dem rätselhaften Biest und den nicht weniger fraglichen Selbstjustizlern, erkennt Bell sich selbst im Biest wieder. Beide versuchen mit aller Macht ihre reale Identität geheim zu halten und ihrem eigentlichen Dasein zu entkommen.

Unterstützung findet Suzu bei ihrer besten Freundin Hiro und einigen Schulkameraden. Der schulische Alltag tritt jedoch fast gänzlich in den Hintergrund, was der Handlung aber nicht schadet. Der Schulalltag von Suzu als unscheinbares Mädchen, das zu sehr damit beschäftigt ist, sich in ihrem Trauma zu verschanzen und sich damit selbst aus dem Leben distanziert, erscheint wenig unterhaltsam. So flüchten wir mit Suzu in das aufregende Leben ihres Avatars Bell, die in der Online-Musikszene immer schneller aufsteigt und sogar Konkurrenten hinter sich lässt.

Während Suzu und Hiro versuchen die Identität des Biests herauszufinden, gerät Bell in das Visier der selbsternannten Beschützer von „U“. Das Biest rettet sie aus dem Verhör und lässt, bewegt von Bells Musik, seine emotionale Mauer langsam fallen. Doch die virtuelle Hetzjagd auf die Bestie entpuppt sich mehr und mehr zu einer ganz realen Rettungsmission, die auch Suzu in die Öffentlichkeit zwingt.

Bild und Animation

BELLE ist für Regisseur Mamoru Hosoda, der auch als Drehbuchautor fungierte, der nunmehr vierte Anime-Film, der im Studio Chizu entstand. Bei der Produktion waren zudem zahlreiche internationale Produzenten involviert.

Seine Weltpremiere feierte BELLE am 15. Juli 2021 bei den Internationalen Filmfestspiele von Cannes mit anschließendem 14-minütigen Standing Ovations. In Japan kam der Film am 16. Juli 2021 in die Kinos und landete dort auf dem dritten Platz des Box-Office-Rakings aller Kinofilme im Jahr 2021.

KSM Anime konnte sich die Rechte an BELLE sichern und bringt diesen ab dem 9. Juni 2022 für kurze Zeit in rund 300 Kinos in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz.

Suzus Dorfleben und die Szenen in der realen Welt werden in einer eher altmodisch wirkenden 2D-Animation umgesetzt, die an Hosodas vorherige Werke wie Summer Wars oder Ame & Yuki – Die Wolfskinder (jap. Ōkami Kodomo no Ame to Yuki) erinnert. Durch das Setting passt diese Umsetzung damit auch sehr gut und verleiht besonders Rückblicken eine zusätzliche emotionale, fast nostalgische Stärke. Die virtuelle Welt von „U“ wird hingegen mit GCI-Animation auf die Leinwand gebracht, wodurch eine sehr passende visuelle Trennung entsteht. Die Kulissen von „U“ wirken sehr eindrucksvoll und setzen das Gefühl einer futuristischen, virtuellen Scheinwelt gut um.

Die vielen Details, die sich in bildgewaltigen Kameraeinstellungen fast im endlosen Raum verlieren, sind teilweise etwas verwirrend. Dennoch besitzt BELLE eine sehr schöne und fesselnde Animation. Das Umsetzen des Settings ist mehr als gelungen, betrachtet man die Welten im direkten Vergleich. Suzus Charakterdesign spiegelt ihre Persönlichkeit ideal wider, wohingegen Bell durch ihr Aussehen und auch ihre Kleidung als Pop-Ikone eine Verkörperung von dem ist, was Suzu verloren hat, nämlich ihre Leidenschaft für die Musik und für das Singen.

Deutsche Umsetzung und Musik

Die deutsche Synchronisation wurde von der Cinephon Filmproduktions GmbH in Berlin übernommen. Dialogbuch und -regie übernahm dabei Madeleine Stolze, die selbst auch als Synchronsprecherin und Schauspielerin tätig ist.

Neben der eindrucksvollen Bildgewalt findet sich die zweite Stärke von BELLE in der Musik, für die Hosodas Film bei den 45. Japanese Academy Award ausgezeichnet wurde. Auch wenn die deutschen Liedtexte wenig mit den Disney-Ohrwürmern gemein haben, schafft es BELLE den Zuschauer musikalisch mitzureißen.

Der Film selbst misst in der Story der Musik einen besonderen Wert zu und ebendieses Topic wird gekonnt aufgegriffen. Die Bilder sind flüssig, die Synchronisation jedoch nicht immer lippensynchron, was aber, in Anbetracht der Schwierigkeit bei Liedtexten und Mundnahaufnahmen, hinnehmbar ist.

In der japanischen Originalvertonung setzte Hosoda auf eine Synchronsprecherin, die ebenfalls singen konnte, damit Sprech- und Singstimme von Suzu beziehungsweise Bell gleich sind. Mit Kaho Nakamura fand er eine passende Besetzung und Nakamura beteiligte sich auch an den Liedtexten.

In der deutschen Vertonung übernahm Lara „Loft“ Trautmann die Stimme von Bell und Suzu. Trautmann ist nicht nur eine erfahrene Synchronsprecherin, sondern auch eine ausgebildete Sängerin. Ihr Können konnte sie bereits mehrfach unter Beweis stellen und bei BELLE dürfte sie maßgeblich am Filmerfolg in Deutschland beteiligt sein, da ihre Stimme der deutschen Synchronisation eine ausgesprochen hohe Qualität verleiht.

Auch weitere erfahrene Synchronsprecher befinden sich im Cast, darunter Lea Kalbhenn (Die Unglaublichen 2 als Karen), Peter Lontzek (Thor als Loki) und Patrick Baehr (Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind als Ezra Miller), die allesamt eine außerordentliche Leistung darbringen. Die Melodie von A Million Miles Away (jap. Hanarebanare no kimi e) geht im Übrigen direkt auf den Klassiker Beauty and the Biest zurück, was einen sehr gut gesetzten Bezug deutlich macht.

Fazit

Wer eine einfache Neuinszenierung erwartet, der wird enttäuscht sein. Abgesehen von der musikalischen Verbindung und der Verwendung von Bell und dem Biest als direkten Bezug, besitzt BELLE eine überraschende, tiefgründige eigne Story, die sich als wirkliche Stärke des Films entpuppt.

Neben der Erzählung über Macht und Schönheit von Musik, dreht sich BELLE um das sensible Thema Traumabewältigung und Schmerz in einer Generation von Social Media. Eine romantische Liebesbeziehung sucht man hier bei den Protagonisten vergeblich. Ein Grund dafür: BELLE versucht zu viel in eine Story zu packen, weshalb es hilfreich ist, den Film als eigenständig anzusehen und den Disney-Klassiker als Referenz aus dem Vergleich zu streichen. Nichtsdestoweniger ist Mamoru Hosodas Inspiration in seinem neuen Werk erkennbar und weiß diese mit seinen Stärken zu versehen.

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Darüber hinaus präsentiert BELLE eine interessante und gut gewählte Symbolik, insbesondere was Licht und Musik angeht. Auch wenn die Handlung nicht immer ganz schlüssig wirkt und die Charaktere nicht sehr nachvollziehbar reagieren, passt dies wiederum ideal zu Suzus Charakter als traumatisierte Jugendliche.

Mamoru Hosodas neuer Film selbst ist vor allem durch die Umsetzung von der virtuellen Welt „U“ sehr expressionistisch und zugleich impressionistisch, was BELLE schon fast zu einem Kunstfilm macht. Nicht zuletzt transportiert BELLE eine faszinierende Botschaft: Indem wir unsere realen Schwachstellen mit der Rolle, die wir spielen, verbinden, werden wir umso stärker.

Kurzfazit

BELLE ist kein Märchen und keine Romanze, dafür aber eine ästhetische musikalische Darbietung mit hohem Niveau. Zudem repräsentiert die kraftvolle Musik Empathie, weshalb BELLE ein Film ist, der zum Reflektieren einlädt und Traumata verständlicher macht.

Bilder: ©2021 STUDIO CHIZU

Pro

  • Gut gewählte dt. Hauptstimme
  • Musikalisch mitreißend und bewegend
  • Kombination von 2D- und 3D-Animation
  • Eigne Story als wahre Stärke

Contra

  • Nicht immer nachvollziehbare Handlung
  • Teilweise etwas unübersichtlich
  • Unbeständige Spannung
9.0
10
Story:
Bild und Animation:
Deutsche Umsetzung:
Musik:
Themen:
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